Die letzten Besucher verließen leise plaudernd die Cadolzburg. Die Kartenverkäuferin trat aus ihrer Hütte und schaute in die Sonne, deren Strahlen noch weit über die Dächer reichten. Eigentlich war Feierabend.
In der Zwischenzeit hatte sich unter der Linde auf dem Rasen der Vorburg ein buntes Völkchen versammelt, schwer mit Taschen, Kameras, Stativen und Handys bewaffnet. Einige kannten sich, begrüßten einander, andere gingen eher zögerlich aufeinander zu. »Gehörst du auch dazu?«
Die Bayerische Schlösserverwaltung hatte Blogger, Instagrammer und Twitterer eingeladen. Sie sollten sich ein Bild von der gerade frisch restaurierten und neu eröffneten Cadolzburg machen und darüber in ihren Netzwerken berichten. Für die an Fotos und spektakulären Ausblicken interessierten Instagrammer gab es eine Fototour, den Bloggern und Twitterern erzählten die Fachleute viel Wissenswertes. Genügend Gelegenheit für Fotos gab es auch hier.
Zunächst standen alle dicht gedrängt vor der Burg, bevor der Pulk in den neu angelegten Burggarten strömte und sich auf allen Wegen verteilte. Im Mittelalter war ummauerter Raum aus Stein teuer und somit jeder Fleck auf dem Gelände eng bebaut. Erst in der früheren Neuzeit entstand hier ein Garten, in dem heute alte Getreide- und Gemüsesorten, Färberpflanzen und Bauernblumen als Bienenweide stehen.
Die alten Samen dafür wurden aus ganz Europa zusammengetragen: Butterkohl, Zuckerwurz und Meerrettich stehen in trauter Einigkeit. Markgraf Johann der Alchemist brachte den Meerrettich aus einem fernen Land nach Franken und sorgte kraft seines Amtes dafür, dass dieser hier – zunächst zu medizinischen Zwecken – angebaut wurde.
In der Toranlage und im Innenhof ging es ebenfalls eng zu. Wer Fotos machen wollte, musste entweder die anderen Menschen mit aufs Bild bannen oder abwarten, bis alle weitergezogen waren. Jeder rückte jedem möglichst dicht auf die Pelle, immer auf der Suche nach dem schönsten Blick auf die Dinge.
Privatsphäre? Gab es auf der Burg nicht. Nirgends. Das galt für die mittelalterliche Küche ebenso wie für die Nacht. Schon damals ging es überall eng zu, wenn auch anders als heutzutage. Wurde es dunkel, ruckelten sich die Menschen einen Strohsack zurecht und legten oder setzten sich dort schlafen, wo Platz war und ihnen ein solcher zustand. Jedenfalls dann, wenn sie zu denen gehörten, die der Herrschaft dienten. Wer im Stall arbeitete, durfte dort nächtigen. In der Schlafkammer des Kurfürsten stand sogar ein Bett, doch es war nur 1,60 Meter breit und für heutige Verhältnisse recht kurz.
Dafür war die Matratze eines echten Königs würdig: Ganz unten lag eine mit Spreu gefüllte Matratze, darauf eine mit Laub gefüllte Ledermatratze, über dieser gab es eine Matratze, die mit Adlerfedern gefüllt war und oben sorgten feinste Daunen für weiche Gemütlichkeit. Die herrschaftlichen Hohenzollern schliefen sozusagen wie die Prinzessin auf der Erbse, aber ebenfalls nie für sich allein.
Geboren, gelebt, geliebt und gestorben wurde nie allein, sondern immer inmitten anderer Menschen. Damals waren die Menschen viel mehr auf den jeweils anderen angewiesen, als wir uns das heute vorstellen können: Bäcker oder Metzger auf Bauer, Schuster auf Gerber, Weber auf Spinnerin. Einen Supermarkt, in dem es alles und zu jeder Zeit zu kaufen gibt, gab es nicht. War der Sommer verregnet, fiel die Ernte schlecht aus. Reichte das Essen nicht, wurde gehungert. Fing ein Zahn an zu eitern, bedeutete das unter Umständen genauso den Tod wie eine Lungenentzündung. Wurde es im Herbst draußen kälter, war oft die Küche der einzig warme Raum im Haus. So auch in der Cadolzburg: Neben den Feuerstellen der Küche gab es in der Burg einen einzigen Kamin.
Die Räume waren eng, der Platz knapp: Überall drängelten sich die mehr als zwanzig Blogger mit ihren Fotoapparaten und Handys, suchten den besten Blickwinkel und warteten, bis niemand ihnen mehr vor das Motiv lief.
In ihrer gut 800jährigen Geschichte haben die Mauern der Cadolzburg eine Menge erlebt – schade, dass sie nicht davon erzählen können.
Wer jedoch den Multimedia-Guide in der Hand hält, sieht auf dem Tablet, wie einige Bereiche der Burg einmal aussahen – und kann sie mit der restaurierten Wirklichkeit vergleichen. Neben dem Burgtor wartet der Tretkran immer noch darauf, dass ihn jemand besteigt und er mit dessen Hilfe die nächsten Steine auf die Mauern hieven kann. Seine Steinzange biss sich in den kleinen Löchern fest, die in den großen Quadern über die Jahrhunderte hinweg deutlich sichtbar blieben. Sie sind bis heute zu sehen und werden inzwischen oft für Einschüsse gehalten.
Die Küche war für alle Blogger, die Verantwortlichen des Hohenzollernwalks und die Kuratoren der Cadolzburg fast zu eng. Trotzdem durfte jeder, der wollte, in den gewaltigen Ochsenschlot spitzen, aber nur einer nach dem anderen. Es war eng, wie überall.
Der Ochs drehte sich – virtuell – am Spieß, das Feuer loderte hell und es duftete so sehr nach geräuchertem Schinken, dass ich Appetit bekam. In dieser recht übersichtlichen Küche wurden einst die rund 300 Menschen auf der Burg bekocht und mit Essen versorgt.
Streng nach Stand, versteht sich. Schließlich durfte im Mittelalter nicht jeder einfach alles essen, worauf er Appetit hatte. Fleischgerichte und feine Backwaren waren den Herrschaften vorbehalten, selbst bei den Dienern ging es diesbezüglich streng hierarchisch zu: Die kleine Küchenmagd musste aus einem anderen Topf löffeln als der Kammerdiener des Kurfürsten.
In dem Teil der Burg, die von der Zerstörung nicht ganz so betroffen waren, dient ein Raum als Kulisse und bietet vielen Akten der Burggeschichte eine großartige Bühne. Doch auch hier ging es eng zu: Die Äste ragen dicht gedrängt rund um eine Mittelstütze, symbolisieren den komplexen Stammbaum der Hohenzollern, die, zum ersten Mal vor gut eintausend Jahren erwähnt, bis zur Abdankung Kaiser Wilhelm II. am 9. November 1918 in immer wieder unterschiedlichen deutschen Landen regierten. Die aus Schwaben stammende Familie avancierte zu Burggrafen von Nürnberg, residierte in der Burggrafenburg vor der Kaiserburg, legte in kaiserlichen Diensten eine rasante Karriere hin und wurde reich belohnt.
Trotzdem reichte all ihr Geld nicht aus, die Cadolzburg so schwer und trutzig auf den Berg zu bauen. Sie gaben Schuldscheine aus und bezahlten später. Ja, bauen war auch damals schon teuer, jedenfalls dann, wenn das Bauwerk die Jahrhunderte überdauern und vor Überfällen schützen sollte.
Die starken Mauern der Burg boten den hier lebenden Menschen lange sicheren Schutz, immerhin haben die Hohenzollern in ihrer 1000-jährigen Herrschaft fast ununterbrochen Kriege geführt.
Turniere boten Spiel, Spaß und Abwechslung und trainierten gleichzeitig für den Ernstfall. Wer allerdings an einem solchen teilnehmen wollte, musste seine adlige Herkunft über mindestens vier Generationen nachweisen.
Der Einzug einer Kaderschmiede der Nationalsozialisten besiegelte das vorläufige Ende der Burg. Da das letzte Häuflein dieser Verblendeten selbst im April 1945 den Schuss noch nicht gehört hatte, kämpften sie verbissen weiter gegen die anrückenden Amerikaner, obwohl sie auf längst verlorenem Posten standen.
Als Folge der Kampfhandlungen ging die Burg in Flammen auf und brannte mehrere Tage lang, bis Dach und Zwischendecke einstürzten und nichts außer den Mauern stehen blieb. An diese Zeit erinnert ein Teil der Burg: Hier wurden die Außenmauern gesichert und der große Raum innen blieb als eindrucksvolles Mahnmal erhalten.
Nach der Zerstörung lagen die Trümmer lange brach, erst ab den 70er Jahren begann der Wiederaufbau, so getreu, wie es nach alten Fotografien und Zeichnungen möglich war.
Längst war es draußen dunkel, doch die Blogger, Instagrammer und Twitterer unterhielten sich innen vergnügt. Erst als alle müde wieder nach Hause zogen, konnten die modernen Burgherren der Bayerischen Schlösserverwaltung an diesem Abend ihren wohlverdienten Feierabend antreten.
Seit Juni 2017 lässt sich im Burgerlebnismuseum »Herrschaftszeiten« das Mittelalter der Hohenzollern erleben: Hier wird Geschichte lebendig. Wer im Pulk einer Führung dort unterwegs ist, bekommt eine kleine Idee davon ab, wie eng es hier einst zugegangen sein mag. Damals drängte sich allerdings niemand vor Schaukästen, sondern war hurtig, hopp-hopp, auf Stiegen und Gängen unterwegs.
Lage der Cadolzburg auf der Karte
Weiter Informationen zur Cadolzburg und der Aktion HohenzollernWalk finden sie hier.
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