Die historischen Felsengänge in Nürnberg.
In den Mythen der alten Zeiten war die Unterwelt das Reich der Toten, ein Ort, in dem alle Schrecken und Qualen zu Hause waren. Ein Ort, von dem sich gruselige Geschichten am heimischen Feuer erzählen ließen, vor dem die Alten warnten, damit die Jüngeren nicht zu übermütig wurden.
Später wurde die Unterwelt ein Synonym für die Welt der Verbrecher, der Zwielichtigen, die den Unterhalt ihres Luxuslebens nicht mit mühsamer Arbeit, sondern mit leichter Beute bestreiten wollten, auf dass sie mit Goldketten behangen aus dicken Autos posieren konnten.
Tief unter der Erde verdienten die Bergarbeiter mühevoll ihren Lohn, nah dran an der Hölle, dort, wo nach alter Überlieferung der Teufel wohnt. Sie kratzten und pickelten mühsam das Erz aus der Grube, schürften Gold und Silber und konnten doch vom geförderten Reichtum oft nicht einmal genug Brot für die hungrigen Mäuler ihrer Kinder kaufen.
Während ein Aufstieg im gläsernen Aufzug, in der Riesenradgondel oder dem Flugzeug ein wohliges Kribbeln im Bauch erzeugt, weil es Richtung Himmel und Glückseligkeit geht, löst der Abstieg in die Unterwelt eher Unbehagen aus. Doch für knapp neunzig Minuten lässt sich der Schauder in Nürnberg wohlig genießen: Während Albrecht Dürer von seinem hohen Podest als Denkmal über die Stadt herabschaut, führen hinter seinem Rücken die Treppenstufen tief hinab in die Unterwelt: Himmel und Hölle liegen nirgendwo weit auseinander, auch in Nürnberg nicht.
Hinein geht es nur mit einem Führer, der Schlüsselgewalt über das Eingangsgitter besitzt. Vor 500 Jahren war Nürnberg eine reiche und mächtige Stadt: Die Eisenstraße und die Salzstraße kreuzten sich, Waffen und Rüstungen aus Nürnberg wurden in die ganze Welt exportiert und Händler aus der Stadt reisten dorthin, wo der Pfeffer wächst. Zwei, vielleicht drei Reisen reichten im Leben aus, damit sie sich als reiche Pfeffersäcke zur Ruhe setzen konnten. Doch was heute eine kurze Urlaubsreise ist, dauerte damals mehrere Jahre, betrug doch die Reisegeschwindigkeit nur 30 Kilometern pro Tag. Zwischen Nürnberg bis München lagen fünf Tage Reisezeit, bis zum Ende der Welt, das hinter Indien lag, waren Reisende gut anderthalb Jahre unterwegs. Wenn sie Glück hatten, also nicht ausgeraubt oder erschlagen wurden, dann kamen sie zurück nach Nürnberg, schwer beladen mit Gewürzen. Ein einziger Pfefferkuchen, der heute auf dem Christkindlesmarkt mit Zwofuffzich noch zu teuer scheint, kostete im Mittelalter – umgerechnet, versteht sich – fünfhundert Euro, so viel wie ein i-Phone. Das war kein Naschkram für mal eben so quengelnde Kinder, das war wie Auster mit Schampus und Trüffel zusammen, also eine Leckerei nur für diejenigen, die sich einen solchen Luxus leisten konnten.
Da konnten die reichen Pfeffersäcke gut ein Viertel von ihrem Gewinn abgeben, ohne dass sie etwas vom Verlust spürten. Ganz im Gegenteil: Wer sicher gehen wollte, dass er nach dem Tod in den Himmel gelangt, musste genügend Geld in fromme Werke investieren. Auch Albrecht Dürer wusste genau, als er sich 1509 das Haus unterhalb der Nürnberger Kaiserburg kaufte, dass es in seiner Heimatstadt genügend reiche Kaufleute gab, die sich seine Rechnungen leisten konnten.
Steinreich waren die Bürger dieser Stadt, sie bauten ihre Häuser komplett aus Stein und nicht aus Holz. Deswegen brannte Nürnberg niemals vollständig ab, sondern nur einzelne Straßenzüge, Holzhäuser und Fachwerkhäuser, die in engen, winkligen Nebengässchen standen. Ein Stadtbrand, wie er in manch anderen Städten wütete und diese fast vollständig in Schutt und Asche legte, ist in Nürnbergs Chronik nicht verzeichnet. Erst im Hagel der Bomben vor gut 70 Jahren wurde die Stadt gründlich zerstört. Die Häuser aus Stein schützten nicht vor der Last, die todbringend vom Himmel fiel.
An einer dieser Bomben führt der Weg in die Unterwelt vorbei, sie hängt an der Wand und erinnert an finstere Zeiten. Gasschleuse. Nürnberg wurde insgesamt 17 mal von den Alliierten Luftstreitkräften bombardiert, das letzte Mal am 2. Januar 1945. Von den Gebäuden in der Innenstadt stand nichts mehr. Für diese Angriffe gab es gleich vier Gründe:
1. Es war die Stadt der Reichsparteitage.
2. Hier lebten insgesamt 3,5 Millionen Menschen.
3. Die Donau ist nicht weit entfernt: War es weiter südlich zu neblig für die Fliegerstaffeln, nutzten sie Nürnberg als beliebtes Ausweichziel und warfen ihre Bomben ab, damit der Sprit für den Rückflug reichte.
4. Der Hauptgrund: Industrie und Verkehr. Seit dem Mittelalter wurden hier Waffen und Rüstungen geschmiedet, schließlich lag Nürnberg auch an der Eisenstraße. Weil die Schienen, die durch Nürnberg führten, eine wichtige Verbindung zwischen West und Ost waren, auf denen Nachschub und Soldaten zu den Fronten gelangten, waren der Hauptbahnhof und der Rangierbahnhof Ziele der Angriffe.
Dank der Nürnberger Unterwelt überlebten relativ viele Menschen die Angriffe: Unten fanden sie Platz, auch wenn es mehr als eng war: Dicht gedrängt standen alle und blieben so lange dort, bis Entwarnung war, und wenn es acht Stunden dauerte.
Dabei war die Nürnberger Unterwelt nicht gebaut, um vor den Bomben zu schützen. Am 11. November 1380, vor mehr als siebenhundert Jahren also, erließ der Rat der Stadt ein Gesetz für alle Bier brauenden Nürnberger: Diese mussten unter ihren Häusern einen Keller graben, als Kühlschrank gewissermaßen. Zu diesem Keller besaß der städtische Beamte die Schlüsselgewalt, damit kein Bierbrauer das flüssige Brot panschen und die Kunden betrügen konnte.
Während heutzutage etwa ein Drittel des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben wird, waren es im Mittelalter noch fast vier Fünftel. Buk der Bäcker die Brötchen zu klein, drohte ihm die Todesstrafe. Große Brötchen und haltbares Bier waren für gerade für die einfache Bevölkerung einfach (über-) lebensnotwendig. Für die Luftzirkulation in den Kellern gab es Luftschächte an den Häusern: Warme Luft stieg nach oben und kalte sank nach unten. Dank dieser stetigen Luftbewegung wuchs unten in den Kellern kein Schimmel.
Im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein dürfte Durchfall die meisten Todesfälle verursacht haben, weit mehr, als jede Pestepidemie und jeder Krieg. Da war kühle Lagerung von Lebensmitteln gefragt, bei der nicht das nur Bier, sondern auch Getreide, Fleisch, Obst und Gemüse so lange haltbar waren, wie nur möglich. Das Reinheitsgebot von 1516 rettete bestimmt einige Menschenleben: Ab jetzt durften nur noch Gerstenmalz, Hopfen und Wasser zum Bierbrauen verwendet werden. Da Gerste keinen „Kleber“ enthält, ließ sich aus diesem Getreide kein Brot backen – und der Weizen blieb für das Brot übrig.
Übrigens war es damals üblich, dass bereits zweijährige Kinder Bier tranken: Das sorgte für Ruhe in Kinderzimmer und Schule. Doch es verhinderte auch, dass die Kinder an Durchfall starben, weil sie verseuchtes Wasser tranken.
Nürnberg steht auf Sandstein: Das lässt sich an der Nürnberger Burg eindrucksvoll erkennen. Da er sich relativ leicht bearbeiten lässt, kam ein Kellerbauer im Winter am Tag einen Kubikmeter weit. Bis die Keller so weit ausgebaut waren, wie sie heute sind, hat es dennoch eine Weile gedauert.
Das alles – und noch viel mehr über das Bierbrauen in vergangenen Zeiten kann jeder selbst sehen und hören, der sich auf eine Entdeckungstour mit einem Führer durch die Nürnberger Unterwelt begibt. Es lohnt sich!
Und zum Abschluss gibt es ein Bier, ein Rotbier. Das ist selten und es lohnt sich auch.
(Nein, tut es nicht, sagt die Lieblingshausziege)
Die Termine für die Führungen durch die Nürnberger Unterwelt stehen auf der Webseite: Klick öffnet den Link: Historische Felsengänge.
Lage der Nürnberger Felsenkeller auf der Karte
Weitere schöne Bilder von einer Bunkerführung durch den Panierskeller gibt es bei Marco zu sehen. Klick auf den Link: der-wenz.de.