Es ist völlig egal, wie das Wetter draußen ist: Es kann sonnig und heiß sein, regnerisch und feucht oder eisig, innen, in der Bing-Höhle, herrschen immer 9 Grad Celsius und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Kommt der Besucher aus der sonnigen Hitze, ist die Höhle kühl, besucht er sie im eiskalten Winter, wirkt sie verhältnismäßig warm.
Damit niemand in der Höhle verloren gehen kann, darf sie nur unter der Leitung eines erfahrenen Führers besichtigt werden. Am Eingang müssen wir zwar ein bisschen warten, doch es dauert nicht lange, bis alle ihre Eintrittskarten in der Hand halten. Nachzügler rufen nach Willi, sie wollen mit uns in die Höhle und müssen vorher dafür Eintritt zahlen.
Der Eingang zur Binghöhle liegt oberhalb von Streitberg. Ist der Tag so heiß wie heute, treibt der Aufstieg über die vielen Treppenstufen den Schweiß auf die Stirn. Innen ist es dafür schön kühl.
Einst lag die Höhle unter Wasser, in einem Meer. Diese Zeit ist jedoch schon lange vorbei. Nicht ganz so lange ist es her, dass der kleine Fluss, der heute als Wiesent durch das Tal ganz unten plätschert, durch die Höhle floss und diese auswusch. Nur uns Menschen scheint es so, als sei immer alles schon so gewesen, wie wir es heute sehen können.
Die Höhle wurde erst im August 1905 von Ignaz Bing entdeckt: Den Fabrikbesitzer aus Nürnberg, der in Streitberg eine Villa besaß, machte ein Nachbar auf eine Felsnische aufmerksam. Diese lag oberhalb der Villa und wurde von den Einheimischen als „Grotte im Petersholz“ bezeichnet. Bing ließ die Felsnische aufgraben, an dieser entstand später der Eingang zur Höhle. Bereits hier fand Bing die Reste einer Feuerstelle, umringt von Scherben und Knochen, erzählt die Höhlenführerin. Bing ließ zunächst einen Gang graben, dreißig Meter lang, später den steinernen Boden aufsprengen. Damit lag der Gang tiefer und ließ sich begehen. Am Ende des Ganges klaffte eine schmale Öffnung: Eine brennende Kerze zeigte, dass aus der Öffnung ein Luftzug wehte. Doch keiner der Erwachsenen konnte sehen, ob und wie es dahinter weiter ging. Ein 13jähriger Junge war mutig genug, krabbelte durch den Spalt und kam nach einer Weile wieder zurück. Er berichtete den Erwachsenen von einer großen Höhle, die er gesehen hatte.
Meter für Meter wurden die Gänge immer weiter ausgebaut, so dass bald Besucher durch die Höhle laufen konnten. Schon im Frühjahr 1906 begannen die ersten Führungen durch die Unterwelt.
Bis heute zieht sich der Weg durch die Spalten im Berg, von Tropfsteinen gesäumt. An manchen Stellen ziehe ich lieber den Kopf ein: Hier hängt die Decke niedrig – und die sechzig Meter Berg über mir sind hart.
An manchen Stellen kommt es mir vor, als sei ich im Inneren eines versteinerten Verdauungstraktes unterwegs, eines Drachens vielleicht? Die rundlich ausgewaschenen Dellen und Kuhlen erinnern an das Innere eines Darmes, die Tropfsteine an die dazugehörigen Darmzotten.
Die Jurahöhle entstand, weil ein unterirdischer Fluss mit rund 1550 Litern pro Sekunde Wasser hindurchströmte, zur gleichen Zeit, als oben Dinosaurier stampften. Er floss vom heutigen Höhlenausgang in Richtung des Einganges, schuf sich den Platz in geschichtetem Kalk.
Die Tropfsteine:
Stalagmiten wachsen von unten nach oben: Wie aus einem undichten Wasserhahn tropft das Wasser aus den Löchern in der Höhlendecke, löst dabei den Kalk, der auf dem Höhlenboden langsam zu einem Stein wächst. Aber das dauert! Das Langzeitexperiment kann übrigens jeder einfach nachmachen: Einfach kalkhaltiges Wasser aus dem heimischen Wasserhahn tropfen lassen. Und warten. Während dieser Zeit ist Putzen übrigens streng verboten: Soll der künftige Küchen-Stalagmit auch nur einen Zentimeter groß werden, braucht er dafür dreißig bis vierzig Jahre.
Die Stalaktiten, die von der Höhlendecke herab nach unten wachsen, brauchen noch länger: Für einen einzigen Zentimeter müssen sie einhundert Jahre wachsen. Die Höhlenführerin bat alle Besucher, bitte keinen der Tropfsteine zu streicheln: An jedem Menschenfinger klebt Fett. Gelangt dieses mittels Streicheleinheit auf die Tropfsteine, können sie nicht weiter wachsen.
Weil Ignaz Bing so neugierig war, sorgte er dafür, dass das Unsichtbare sichtbar wurde, das, was vorher tief in der Erde verborgen war. Der Ausflug in die Tiefe des Berges ist heute ungefährlich – der größte Teil des Weges ist bequem wie ein Promenadenweg. Nur manchmal hängt der Berg etwas herab. An der tiefsten Stelle der Höhle ist der darüberliegende Fels mit dem Waldboden dreißig Meter dick.
Auf dem rund dreihundert Meter langen Weg vom Eingang bis zu den 55 Stufen am Ausgang geht es durch die Tropfsteingalerie, den Kerzensaal, am Diamant-Felsen und Muschel-Felsen vorbei in die Kristallgrotte. Am Ende der Höhle glitzert ein kleiner See – hier wurden vor einigen Jahren Urzeitkrebse entdeckt, die bereits als ausgestorben galten.
Mittendrin halten wir inne: Die Höhlenführerin schaltete das Licht aus, nur für einen kurzen Augenblick. Alles ist dunkel, nichts leuchtet hier drin. Es gibt keine Sterne und noch nicht einmal die Ahnung einer Dämmerung. Weder Steine noch Menschen sind zu sehen, einfach gar nichts. Für einen Moment weiß ich nicht, wo ich mich befinde. Doch bevor ich mich verliere und nicht wiederfinden kann, knipst die Führerin am Schalter und das Licht leuchtet wieder. Die Lampen strahlen, bis die Steine zu leuchten beginnen – und der Raum weitet sich wieder im Licht. Zwar ist er eng umgrenzt, doch er ist weder weich noch kuschelig. Hier ist alles hart und kalt und tonnenschwer. Keine Stütze bietet den Anschein, sie trüge das Gewicht des Steins, so wie in einem Bergwerk.
Nach dreihundert Metern ist alles überstanden und der Ausgang erreicht.
Das Wetter wartet draußen, mit sommerheißer Schwüle oder bissiger Kälte, je nachdem, wie es vorher war.
Lage der Binghöhle in Streitberg auf der Karte
Link für weitere Informationen und Öffnungszeiten zur Binghöhle. Bitte hier anklicken